Zukunft ist nicht das, was in Zukunft passieren wird, sondern was wir uns heute über die Zukunft vorstellen. Oder wie Meister Yoda sagt: „Schwer zu sehen, in ständiger Bewegung die Zukunft ist“.
Welches war Ihre erste Begegnung mit einer Künstlichen Intelligenz? Ich habe meine erste KI im Jahr 1994 getroffen. Ihr Name war HAL 9000. Ich war zunächst ziemlich begeistert von ihr, aber HAL geriet dann außer Kontrolle und versuchte seine Crewmitglieder zu töten. Das fand ich dann nicht mehr ganz so prickelnd.
HAL 9000 ist der Bordcomputer des Raumschiffs Discovery in Stanley Kubricks 1968 erschienen Meisterwerk „2001: Odysee im Weltraum“. Es sind die fast schon ikonografisch gewordenen Bilder aus dieser Science-Fiction-Geschichte, die vor mehr als 50 Jahren die Zukunft, also unsere heutige Gegenwart, beschrieben hat. Oder um es präziser formulieren: Die eine Vorstellung der Zukunft aus dem Jahr 1968 präsentiert hat.
Denn erstens ist Zukunft nicht das, was in der Zukunft passieren wird, sondern wie wir uns in der Gegenwart die Zukunft vorstellen. Zukunft ist entgegen der landläufigen Meinung gerade nicht das, was dann mal sein wird. Sie ist vielmehr das, von dem wir heute denken, dass das dann sein wird. Zukunft ist also jetzt schon hier.
Und zweitens, kommt die Zukunft nicht im Singular auf uns zu, sondern in vielen unterschiedlichen Versionen: „Das Mögliche, das Wahrscheinliche, das Plausible und sogar das Unmögliche sind alles Versionen der Zukunft“. So zumindest beschreibt es die Politologin und Zukunftsforscherin Florence Gaub.
Manche dieser Zukunftsvorstellungen werden dann wie die Künstliche Intelligenz irgendwann zu unser aller Realität. HAL 9000 ist nicht die einzige Idee aus Science-Fiction-Filmen oder -Literatur, mit der wir heute leben. William Gibson beschrieb in seinem Roman „Neuromancer“ 1984 ein Informations- und Kommunikationsnetzwerk, das die gesamte Welt verbindet. Wir nennen es heute Internet. Der Tricorder, den Captain Kirk in Star Trek benutzt, besitzt drei Funktionen: Scannen, Aufnehmen und Verarbeiten. Er ist damit ein Vorläufer der heutigen Smartphones.
Man könnte nun fast den Eindruck gewinnen, dass neben Zukunftsforscher*innen auch Science-Fiction-Autor*innen Profis der Zukunft (bleiben wir aus Gewohnheit beim Singular) sind. Selbstverständlich ist Science-Fiction keine Futorologie oder Zukunftsforschung. Sie behauptet auch nicht, dass sie die Zukunft voraussagen kann. Sie nennt nicht einmal bestimmte Wahrscheinlichkeiten, sondern spricht allein über Möglichkeiten, im Plural. So ist Zukunft vielmehr ein Möglichkeitsraum. Und eine dieser Möglichkeiten, wie man 1968 auf die Zukunft blickte, schildert Stanley Kubrick in der Space Odysee.
Science-Fiction ist deshalb nicht nur spannend, weil Technologien und Ideen der Zukunft dort das erste Mal verdinglicht werden. Sie ist insbesondere deshalb interessant, weil sie vermittelt, wie Menschen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt die Zukunft vorstellen. So ist etwa Jules Vernes Klassiker „20.000 Meilen unter dem Meer“ nicht nur spannend, weil Verne mit der Nautilus ein U-Boot imaginiert, sondern weil das Buch einen Einblick darüber gibt, wie man sich 1870 in Frankreich eine mögliche Zukunft vorgestellt hat.
Science-Fiction-Autor*innen sind also fast noch mehr Profis der Gegenwartsdiagnose als der Zukunftsentwürfe. Ihr Blick auf ihre Zukunftsentwürfe lässt mitunter auch einen Einblick auf die jeweilige Gegenwart zu. Und so kann man vermuten, dass optimistische Zukünfte eher in positiv gestimmten Gegenwarten entworfen werden, und Dystopien eher ein Resultat mauer Gegenwartsstimmung sind. Ein durchaus subjektiver Blick auf die aktuelle Science-Fiction-Literatur zeigt denn auch eher dystopischen Versionen: die Erhitzung der Erde, steigende Meeresspiegel, Naturkatastrophen und das Aussterben von Tieren und Pflanzen lassen grüßen.
Aber: Wie beschäftigen wir uns mit der Zukunft?
Bleibt noch die Frage offen, wie sich jede und jeder Einzelne von uns mit der Zukunft beschäftigt und Vorstellungen der Zukunft entwickelt. Studien zeigen, dass wir das Zukunftsgeschäft eher den Profis, also der Zukunftsforschung und der Science-Fiction-Literatur überlassen.
Zwar verbringen wir die Hälfte unserer Zeit damit, über die Zukunft nachzudenken, „aber den größten Teil verschwenden Menschen für eher banale Zukünfte“. So formuliert es zumindest Florence Gaub. 80 Prozent unseres Zukunftsdenkens gelten alltäglichen Zukünften, „was wir essen, wann wir zur Arbeit gehen und wann die Prüfungen der Kinder anstehen“. Erst abgeschlagen folgten Gedanken über das kommende Jahr: Ferien, Projekte, Arztbesuche. Und ganz weiten hinten stehen Überlegungen zu den nächsten zehn bis 15 Jahren, wie Heiraten, ein Hausbau oder Karriereziele.
Bei diesen Beispielen bemerken wir aber auch rasch eines: Bei den Zukunftsvorstellungen der meisten Menschen geht es vor allem um sehr individuelle Fragen. Wie unsere Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten aussehen wird, darüber machen wir uns nur wenige Gedanken. Auch als Gesellschaften vernachlässigen wir die Zukunft. Wir orientieren uns vielmehr in der Vergangenheit oder wollen im Augenblick leben.
Bildnachweis: Angela Lamprecht