July 10, 2024

„Die Zeit war ein enormer Luxus“

Jens Poggenpohl
Redaktion und Kommunikation

Dass Wissenschaftler*innen an Hochschulen zu wenig Zeit zur Forschung bleibt, ist eine oft gehörte und nicht unberechtigte Klage. Auch Julia Ha, Sozialpsychologin an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG), kennt die Herausforderungen des akademischen Alltags. Umso mehr schätzt sie die „sehr unübliche“ Erfahrung, die sie im Rahmen des Projekts zusammen:denken gemacht hat: Über zwölf Monate hinweg förderte der Wissenschaftsverbund Vierländerregion Bodensee im Rahmen einer Ausschreibung zur Entwicklung eines grenzübergreifenden Lehrangebots ein Team der PHSG und der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg. Aus der Projektarbeit entstand nun ein Konzept für ein innovatives, grenzübergreifendes Studienangebot, das zur Stärkung diversitätssensibler Kompetenzen von Studierenden im Kontext von Fluchtmigration beitragen soll. Im Wintersemester wird das Curriculum erstmals umgesetzt – ebenfalls mit Unterstützung des Verbunds.

Diese Zeit für die Konkretisierung und Ausarbeitung eines Bildungsangebots zu haben, war „ein enormer Luxus“, so die Projektleitung Julia Ha.

Winter School als Raum für Reflexion

Der Zeitfaktor hat sich auf mehreren Ebenen positiv ausgewirkt: Zum einen konnte das Projektteam die Lehrinhalte sorgfältig auf die unterschiedlichen Curricula in Österreich und der Schweiz abstimmen. Darüber hinaus konnte man frühzeitig den Dialog mit Studierenden suchen, obwohl es „gar nicht so einfach“ gewesen sei, so Ha, Studierende für ein Seminar zu gewinnen, von dem noch nicht klar gewesen sei, „ob es überhaupt stattfindet“. Genau diese Unklarheit aber war aus Sicht des Wissenschaftsverbunds eine zentrale Motivation, eine solchen Ausschreibung zu lancieren: Um erfolgreiche Konzeptionen für Lehrangebote zu entwerfen und umzusetzen, braucht es zunächst eine fundierte Kenntnis über die Bedarfe der Zielgruppe, um Probleme zu verstehen und entsprechende Lösungen zu entwickeln.

Eine „besonders schöne“ Erfahrung war für Julia Ha überdies die Suche nach und der Austausch mit Expert*innen außerhalb der Hochschulen für die inhaltliche Ausgestaltung des Bildungsangebots.

Ein Input aus unterschiedlichen Praxis- und Berufsfeldern war zwar von Anfang an Teil des Plans, doch erst im intensiven Dialog wurden die komplexen Zusammenhänge hinter dem Thema Flucht und Migration sichtbar. Zum Beispiel habe die Frage, auf welchem Weg ein geflüchteter Mensch nach Österreich oder in die Schweiz gelangt ist, „großen Einfluss darauf, welche Ressourcen und Angebote ihm zur Verfügung stehen“. Und schließlich habe nicht zuletzt das Feedback gezeigt, dass insbesondere die Reflexion der Studierenden über eigene Unsicherheiten und Schwächen im Rahmen von Präsenzveranstaltungen von besonderer Bedeutung sind und besser gelingen adressiert werden können. Eine dreitägige Winter School im Februar soll für die Studierenden genau diesen Raum schaffen. Das weitere Programm des Pilotseminars ist hybrid angelegt. In Form von drei interdisziplinären, partizipativen Reflexionsformaten geben Expert*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz dabei wichtige Impulse zu den Themenbereichen Flucht und Migration, Mehrsprachigkeit und Rassismuskritik sowie Schulsozialarbeit und Empowerment.

Exzellente Bewertung

Dass Zeit sich in Sachen Qualität auszahlt, hat die exzellente Bewertung des Curriculums durch unabhängige Gutachter*innen bestätigt. Sie ist die Grundlage dafür, dass auch die praktische Umsetzung des Konzepts im kommenden Wintersemester durch den Wissenschaftsverbund gefördert wird. Wir gratulieren zum Erfolg und wünschen für die Umsetzung alles Gute!

Das Grenzübergreifende Lehre-Projekt „zusammen:denken" wurde in einer ersten Phase in der Konzeption eines Bildungsangebots gefördert und startet nun ab 01.08.2024 unter dem Titel „zusammen:weiterdenken" in die Umsetzung.

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