August 25, 2022

Mission Gesellschaft

Isabel Oostvogel
Koordinatorin und Ansprechpartnerin Labs, Programmleitung Gesellschaftlicher Zusammenhalt
Um die Dritte Mission der Wissenschaft mit Leben zu füllen, muss sie in den Hochschulen strategisch verankert werden. Der Wissenschaftsverbund kann hierbei vielfach unterstützen: über Fördermittel, Anreizsysteme und die Professionalisierung aller Akteur*innen.

Lehre und Forschung stehen seit jeher im Zentrum von Universitäten und Hochschulen. Die Öffnung der Wissenschaft in Richtung der Gesellschaft ist hingegen eine vergleichsweise junge Mission. Von manchen wird sie als zusätzliche Aufgabe betrachtet, für andere wiederum ist sie integraler Bestandteil hochschulischen Handelns.

Wie diese „Dritte Mission“ mit Leben zu füllen ist und welche Herausforderungen sich daraus für Hochschulen ergeben, wird in der Wissenschaft und ihren Institutionen selbst, aber auch in Politik und Öffentlichkeit eifrig diskutiert. Einig ist man sich aber darin, dass Hochschulen Impulsgeber*innen und Gestalter*innen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Wandels sein sollen. Dadurch übernehmen sie auch Verantwortung für die Bewältigung von aktuellen und zukünftigen Herausforderungen. Soweit zumindest der normative Anspruch.

Doch wie gestalten Hochschulen diese „Mission Gesellschaft“ sinnvoll aus? Und welchen Beitrag kann der Wissenschaftsverbund dazu leisten?

Lange Zeit war das Verständnis der Dritten Mission insbesondere ökonomisch geprägt. Es ging, beginnend in den 1980er-Jahren, zuvorderst um eine enge Zusammenarbeit der Hochschulen mit Unternehmen, um beispielsweise Ergebnisse der Forschung (auch mit Unterstützung des Staates) zu kommerzialisieren. Der gesellschaftliche Beitrag wurde unter dem Begriff des Technologietransfers als lineare Übertragung von technologischen Entwicklungen aus der Forschung in Unternehmen verstanden. Der deutsche Wissenschaftsrat betonte schon 2016 zu Recht, dass dieses lineare Modell einerseits „zu kurz greift“, konstatierte andererseits aber auch, dass sich „nicht wenige Akteure im Wissenschaftssystem auch heute noch vielfach an einer zu einfachen Vorstellung von Transfer“ orientierten.

Mehr als Transfer — und auch mehr als Dialog

Grundsätzlich erscheinen uns die Zeiten einer solchen Engführung aber vorbei. Dies zeigen veränderte Transfermodelle in den Hochschulen und stärker differenzierte Evaluationskriterien etwa in Drittmittel-Wettbewerben. Dies spiegelt sich auch in den wechselseitigen Erwartungen von Gesellschaft und Wissenschaft wider, gemeinsam an der Bewältigung der grossen Herausforderungen zu arbeiten. Zudem hat sich das lineare Verständnis von Transfer hin zu einer Dialogorientierung auf Augenhöhe gewandelt. Dies zeigt sich etwa dann, wenn Wissenschaft mit evidenzbasierten Argumenten zu politischen Entscheidungsprozessen beiträgt.

So fasst das österreichische Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung unter dem Begriff der Dritten Mission die Aufgaben und Verantwortungen der Hochschulen im „Bereich des Austauschs mit Gesellschaft und Wirtschaft“, insbesondere in den Ausrichtungen „Wissens- und Technologietransfer“, „Weiterbildung und lebensbegleitendes Lernen“ und „soziales Engagement in Verbindung mit regionalen Gegebenheiten“. Damit sind die Dimensionen dessen skizziert, was der Stifterverband der Deutschen Wissenschaft und die Stiftung Mercator als Mission Gesellschaft bezeichnet haben. Bei der Dritten Mission gehe es um einen wechselseitigen, institutionalisierten Austausch zwischen Hochschulen und Gesellschaft (Berthold et al. 2010).

In unserem Verständnis trifft der Begriff der Interaktion die Beziehungsebene indes noch besser als der des Austauschs. Zudem sollten aus unserer Sicht in Bezug auf die Dritte Mission nicht nur Formate des Dialogs, sondern vielmehr des gemeinsamen Arbeitens gemeint sein. Ebenso liegt dem Begriff der Wechselseitigkeit ein klares Verständnis der Interaktion auf Augenhöhe zugrunde. Wichtig ist uns schlussendlich die Institutionalisierung dieser Kooperation, im Gegensatz zu bloss punktuellen Formaten.

Blickt man auf die typischerweise drei Bereiche der Dritten Mission, so schliessen wir uns mit Blick auf den Wissens- und Technologietransfer der Empfehlung des Wissenschaftsrats (2013) an, Transfer nicht primär technologisch zu verstehen, sondern vielmehr als „dialogische Vermittlung und Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik”.

Zur Dimension der wissenschaftlichen Weiterbildung gehören „alle Lernaktivitäten mit dem Ziel, das Wissen, die Fähigkeiten und Kompetenzen innerhalb einer persönlichen, gesellschaftlichen oder beruflichen Perspektive zu steigern“ (Roessler 2015). Der Bereich des gesellschaftlichen Engagements umfasst schlussendlich den freiwilligen Beitrag von Institutionen, Ssoziale und gesellschaftliche Entwicklungen nachhaltig zu befördern und mitzugestalten“ (Berthold et al. 2010). Bürgerschaftliches Engagement, gemeinnützige Initiativen und Soziales Unternehmertum sind nur drei der zahlreichen Themen und Konzepte, die hierzu in den vergangenen Jahren entstanden sind — nicht zuletzt an Hochschulen.

Keine Anerkennung für Engagierte?

Überhaupt beobachten wir, dass Hochschulen und ihrer Angehörigen bereits auf vielfältige Weise den Dialog und die Kooperation mit der Gesellschaft suchen, sich engagieren und dabei zugleich auch die nötige Offenheit für externe Impulse aufbringen. Gleichwohl stellen eine Reihe von institutionellen Akteur*innen des Wissenschaftssystems Risiken bei der Einbindung der Dritten Mission in die Hochschulstrategien fest.

So würden einerseits viele Aktivitäten nur von einzelnen Personen oder Instituten ausgeführt werden. Andererseits seien die Rückbindung an die Strategie, die institutionelle Verankerung und damit auch das Management an der organisationalen Schnittstelle zwischen Hochschule und ihrer Umwelt nur vereinzelt zu erkennen. Dies mag zunächst schlicht der Tatsache geschuldet sein, dass mit der Dritten Mission eine zusätzliche Kernaufgabe für die Hochschulen dazu gekommen ist; und ja nicht die einzige neue Aufgabe, die von Aussen an die Hochschulen herangetragen und ressourcentechnisch nicht klar ausgestattet wurde.

Mit Blick auf die Forschenden spricht der Wissenschaftsrat zudem von einem Anerkennungsdefizit für Aktivitäten innerhalb der Wissenschaft selbst: „Der Fokus auf traditionelle Leistungsindikatoren führt zu Karriereeinbussen durch Third-Mission-Engagement“ stellen Graf und Kolleg*innen (2021) fest. Deshalb verwundert es auch nicht, dass Studien zeigen, dass nur wenige Wissenschaftler*innen für die Mehrzahl an Aktivitäten an einzelnen Hochschulen verantwortlich sind unddass diese eher zu den erfahreneren Wissenschaftler*innen zählen (D’Este & Patel 2007 für UK; Perkman et al. 2012 in einem internationalen Literature Review). Schlussendlich finden sich auch kritische Stimmen aus wissenschaftstheoretischen Debatten, die den Grundsatz der Wissenschaftsfreiheit in Gefahr sehen und eine „Funktionalisierung“ befürchten (Henke et al. 2017; Weingart 2005).

Organisationen professionalisieren, Kompetenzprofile stärken

Gleichzeitig liegt die Herausforderung für die einzelne Hochschule aber darin, dass die Dritte Mission ein Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten ist. Eine klare Definition als Rahmen für die Umsetzung fehlt. Für Hochschulen macht das die Sache schwieriger und leichter zugleich: Sie können bzw. müssen eigene und spezifische Profile entwickeln, die zu ihrer fachlichen Ausrichtung, ihren Kompetenzen und ihrer Umwelt passen. Ein Standardmodell dafür gibt es bislang nicht, lediglich manche Strukturierungskonzepte wie der Third-Mission-Radar des Projekts „European Indicators and Ranking Methodology for University Third Mission“ (Roessler 2015).

Zudem fehlen ausgerechnet in einer immer stärker an Leistungsindikatoren orientierten Hochschulwelt schlicht Systematiken für die Erfassung und Bewertung von Aktivitäten der Dritten Mission (Henke et al. 2017). Immerhin: Zumindest für den Transferbereich entstehen erste Modelle und Indikatorensets, beispielsweise als Resultat des Transferbarometer, einer gemeinsamen Initiative des Stifterverbands und der Helmholtz-Gemeinschaft.

Gleichzeitig sollte in unseren Augen das individuelle Profil der Hochschulen mit Zielen und Massnahmen konkretisiert werden. Neben der Ausgestaltung von Angeboten und Instrumenten geht damit notwendigerweise eine strukturelle Weiterentwicklung der Organisation und ein professionelles Management dieser Aktivitäten einher: Es braucht fachlich qualifizierte Teams, die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen und Angebote für die interne Weiterbildung.

Der Wissenschaftsrat (2016) nutzt dafür die überzeugende Dreiteilung in Kommunizieren, Beraten und Anwenden. Genau für diese Handlungsfelder braucht es unseres Erachtens Stärkungen in den Kompetenzprofilen. Damit meinen wir unter anderem die Befähigung zur Interaktion mit anderen gesellschaftlichen Akteur*innen, zum Arbeiten in ko-kreativen Settings und offenen Innovationsprozessen (Henke 2019; Beck et al. 2019).

Mit der Einrichtung von einzelnen Stellen oder Abteilungen für die Dritte Mission an den Hochschulen wird es aber nicht getan sein, wie Analysen zum Erfolg von Transferstellen zeigen: So kommen Meier und Krücken (2011) in einer Metastudie zum Ergebnis, dass Transferstellen nur eine „begrenzte Rolle im tatsächlichen Transfergeschehen“ spielen. Maximal 10 Prozent der Kooperationsbeziehungen kommen demnach unter Einbeziehung solchen Stellen zustande. Wesentlich wichtiger sind demnach hingegen die direkten Beziehungen zwischen Forscher*in und Praxispartnerin.

Und schlussendlich braucht es auch einen Wandel im Selbstverständnis von Leistungsindikatoren, um insbesondere Nachwuchsforschenden die Möglichkeit zu geben, sich ein in der Wissenschaft wertgeschätztes Profil im Bereich Dritte Mission aufbauen zu können — wenn sie dies denn wollen. Eine gezielte Begleitung der Aktivitäten sowie eine ressourcenschonende Kompetenzvermittlung, die die vielfältigen Ansprüche der Hochschulangehörigen berücksichtigt, versteht sich dabei von selbst. Wenn sich Wissenschaftler*innen durch ihr Engagement ihre Karriere verbauen oder dieses Engagement nur am Wochenende stattfinden kann, müssen wir gar nicht mehr weitersprechen.

Grenzgänger seit mehr als zwei Jahrzehnten

Der Wissenschaftsverbund hat sich in seiner Strategie 2022–2025 und der Leistungsvereinbarung mit der Internationalen Bodensee-Konferenz der aktiven Gestaltung der Dritten Mission in der Vierländerregion verschrieben. Gerade unser Verbund, der seit seiner Gründung im Jahr 2000 Hochschulkooperationen ermöglicht und an der Grenze zwischen Wissenschaft und ihrer gesellschaftlichen Umwelt aktiv ist, kann hier eine wichtige Rolle übernehmen: Er kann Fördermittel zielgerichtet für die Unterstützung der Dritten Mission einsetzen und damit andere (nationale) Förderinstitutionen ergänzen. Und er kann den Ausbau hochschulischer Anreizsystem für gesellschaftsbezogene Aktivitäten begleiten.

Mit unseren Programmen werden wir dafür aktiv kollaborative Projekte aus Wissenschaft und Praxis unterstützen. Gleichzeitig werden wir unsere Projektteams dabei begleiten, ihre Projekte an gesellschaftlichen Fragestellungen auszurichten und Angebote schaffen, die Zusammenarbeit über Systemgrenzen hinweg effektiver zu gestalten. Schlussendlich sollen unsere Angebote auch dazu beitragen, die Hochschulen und ihre Angehörigen auf dem Weg zur Einbindung und Ausgestaltung ihrer „Mission Gesellschaft“ weiter zu professionalisieren.

Die Autor*innen sind Mitglieder des Teams der Geschäftsstelle der IBH (zukünftig des Wissenschaftsverbunds).

Jahresbericht 2021

Literatur

Beck, S., Mahdad, M., Beukel, K., Poetz, M. (2019). The Value of Scientific Knowledge Dissemination for Scientists: A Value Capture Perspective. Publications 7(3), https://doi.org/10.3390/publications7030054.

Berthold, C., Meyer-Guckel, V., Rohe, W. (2010). Mission Gesellschaft: Engagement und Selbstverständnis der Hochschulen. Ziele, Konzepte, internationale Praxis. Edition Stifterverband.

D’Este, P., Patel, P. (2007). University-industry linkages in the UK. What are the factors underlying the variety of interactions with industry? Research Policy 36, S. 1295–1513.

Graf, D., Schober, B., Jordan, G., Spiel, C. (2021). In: Schmohl, T. und Philipp, T. (Hrsg.): Handbuch Transdisziplinäre Didaktik, S. 323–332. Transcript

Henke, J. (2019). Third Mission as an Opportunity for Professionalization in Science Management. Publications 7(4). https://doi.org/10.3390/publications7040062

Henke, J., Pasternack, P., Schmid, S. (2015). Viele Stimmen, kein Kanon: Konzept und Kommunikation der Third Mission von Hochschulen. HoF-Arbeitsbericht 2’15.

Meier, F., Krücken, G. (2011). Wissens- und Technologietransfer als neues Leitbild? Universitäts-Wirtschafts-Beziehungen in Deutschland. In: Hölscher, B., Suchanek, J. (Hrsg.): Wissenschaft und Hochschulbildung im Kontext von Wirtschaft und Medien, VS Verlag.

Perkman M., et al. (2012). Academic engagement and commercialization. A review of the literature on university-industry relations. Research Policy 42, S. 423–442.

Roessler, I. (2015). Third Mission: Die ergänzende Mission neben Lehre und Forschung. Wissenschaftsmanagement 2/2015, S. 46–47.

Weingart, P. (2005). Die Wissenschaft der Öffentlichkeit: Essays zum Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit, Velbrück.

Wissenschaftsrat (2013). Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems. Braunschweig.

Wissenschaftsrat (2016. Wissens- und Technologietransfer als Gegenstand institutioneller Strategien. Positionspapier.


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